Angenommen, du beziehst eine Dienstleistung von einem Unternehmen, das seinen Firmensitz im Ausland hat. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn du Produkte über Amazon oder eBay verkaufst. Wer bezahlt die Umsatzsteuer? Vielleicht hast du schon mal den Begriff Reverse Charge gehört. Du musst in diesem Fall die Umsatzsteuer selber berechnen und an dein Finanzamt abführen. Der Dienstleister rechnet seine Netto-Leistung mit dir ab.
Der EU gehen jährlich beinahe 160 Milliarden Euro durch Dienstleistungen verloren, die von Unternehmen aus dem Ausland erbracht werden. Zudem ist die Umsatzsteuer äußerst betrugsanfällig. Den Staatskassen gehen etwa 50 Milliarden Euro durch betrügerische Handlungen verloren. Das Reverse Charge Verfahren soll Abhilfe schaffen, indem es die Steuerschuld umkehrt.
Grundlage des Reverse Charge Verfahrens
Die gesetzliche Grundlage ist in § 13b des Umsatzsteuergesetzes zu finden, das mittlerweile so komplex ist, dass es nicht mal mehr von Experten im Detail nachvollzogen werden kann. Ziel des Verfahrens ist es, sicherzustellen, dass ausländische Unternehmen ihre Umsatzsteuer auch wirklich in Deutschland abführen.
Zudem soll es den Dienstleistungsverkehr in der EU vereinfachen. Da nicht das ausländische Unternehmen selbst, sondern der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an das jeweilige Finanzamt abführt, muss das Unternehmen auch nicht zwingend in Deutschland steuerlich registriert sein. Wenn ausländische Unternehmen Dienstleistungen an dich erbringen, unterliegen diese in der Regel der deutschen Umsatzsteuer. Ausnahmen davon sind in § 3a Abs. 3 UStG – Ort der sonstigen Leistung geregelt.
Besteuerung der Leistungen in Deutschland
Am 1. Januar 1993 wurde in der EU ein einheitliches Umsatzsteuerrecht eingeführt. Dieses besagt, dass Leistungen grundsätzlich dort der Umsatzsteuer unterliegen sollen, wo sie verbraucht oder konsumiert werden. Es gilt das Bestimmungslandprinzip. Dabei ist es egal, ob es sich um Warenlieferungen oder um Dienstleistungen handelt. Wenn du dir als Privatperson innerhalb der EU Ware liefern lässt, gilt dieser Grundsatz erst, wenn du bestimmte Lieferschwellen überschritten hast. Auch im B2B-Bereich gilt seit dem 1. Januar 2010 in der ganzen EU das Bestimmungslandprinzip. B2B bedeutet, dass du als Unternehmer an einen anderen Unternehmer Dienstleistungen erbringst.
E-Commerce-Unternehmen aufgepasst
Viele Dienstleistungen im E-Commerce-Bereich fallen unter dieses Gesetz. Du nutzt elektronische Marktplätze wie Amazon oder eBay oder Werbeformen wie Google AdWords und Facebook? Du lässt dich von ausländischen Rechtsanwälten oder Experten beraten? Du beauftragst für dein Webdesign oder deine SEO-Leistungen Unternehmen aus dem Ausland? Dann solltest du unbedingt das Reverse-Charge-Verfahren beachten. Übrigens sind PayPal-Leistungen in Deutschland überwiegend von der Umsatzsteuer befreit, weil diese zu den Bankdienstleistungen zählen. Wenn du mehr zum Thema Online Shop erstellen wissen willst, empfehle ich dir diesen Artikel.
Leistungsabrechnung beim Reverse-Charge-Verfahren
Wann immer die erbrachten Leistungen dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegen, darf dein Dienstleister nur netto mit dir abrechnen. Es ist deine Aufgabe, für diese Leistung Umsatzsteuer zu berechnen und an dein Finanzamt abzuführen. Als E-Commerce-Händler bist du im Normalfall berechtigt, die Umsatzsteuer in derselben Umsatzsteuer-Voranmeldung als Vorsteuer abzuziehen. Bitte prüfe, ob dein Dienstleister in seiner Rechnung den Hinweis „ Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ aufgeführt hat, der in der jeweiligen Landessprache oder in Englisch möglich ist. Dazu ist er gesetzlich verpflichtet.
Das Reverse-Charge-Verfahren setzt voraus, dass sich sowohl der Leistungsempfänger als auch der Dienstleister darüber bewusst sind, dass sie diesem Verfahren unterliegen. In der Praxis ist diese Tatsache häufig nicht gegeben, so dass die Rechnung entweder eine ausgewiesene deutsche oder eine ausländische Umsatzsteuer enthält. Was kannst du tun, wenn die Rechnung falsch ist?
Abhilfe bei falschen Rechnungen
Wenn du eine Rechnung erhältst, auf der die deutsche Umsatzsteuer abgerechnet wurde, bist trotzdem du der Schuldner der Umsatzsteuer. Du musst diese vom Nettoentgelt berechnen und an dein Finanzamt abführen. Bitte das Unternehmen, dir eine Korrektur der Rechnung zu schicken und bezahle erstmal nur das Nettoentgelt. Du hast den Betrag bereits irrtümlicherweise komplett überwiesen? Du kannst die zu viel gezahlte Umsatzsteuer von deinem Dienstleister zurückfordern.
Ebenso verhält es sich, wenn eine ausländische Umsatzsteuer abgerechnet wurde. Du nimmst den Nettobetrag, berechnest davon die deutsche Umsatzsteuer und führst sie ans Finanzamt ab. Bitte zuvor um eine korrigierte Netto-Rechnung. Du hast die ausländische Umsatzsteuer bereits bezahlt? Zwar gibt es das Vorsteuervergütungsverfahren für im Ausland gezahlte Umsatzsteuer, aber in diesem Fall greift es nicht. Die einzige Möglichkeit ist, dir die gezahlte Umsatzsteuer vom Dienstleister zurückzufordern.
Sonderfall Kleinunternehmer
Als Kleinunternehmer musst du für deine Umsätze keine Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Dies gilt jedoch nur, wenn du in Deutschland tätig bist. § 13b Absatz 8 UStG besagt, dass die Kleinunternehmerregelung im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens nicht zur Anwendung kommt. Das bedeutet für dich, dass du auch als Kleinunternehmer vom Nettobetrag die Umsatzsteuer berechnen und an dein Finanzamt abführen musst. Wenn du mehr zum Thema Kleinunternehmer wissen willst, findest du hier einen informativen Blogartikel.
Als Kleinunternehmer auf eBay
Als du dich bei eBay angemeldet hast, musstest du deine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer hinterlegen. Damit erkennt eBay, ob du als Unternehmer handelst und dir demzufolge eine Netto-Rechnung ausgestellt werden muss. Wenn du jedoch Kleinunternehmer bist, hast du im Normalfall keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer hinterlegt. Nun geht eBay jedoch davon aus, dass du eine Privatperson bist und rechnet mit 19 Prozent deutscher Umsatzsteuer ab. Wenn du Kleinunternehmer bist, musst du nun unbedingt die 19 Prozent Umsatzsteuer vom Netto-Entgelt einbehalten und an dein Finanzamt abführen.
Das hat einen gravierenden Nachteil: Du bist als Kleinunternehmer nicht Vorsteuerabzugsberechtigt und wirst somit zweimal mit der deutschen Umsatzsteuer belastet: Einmal führst du diese an eBay ab und einmal an das Finanzamt. Um diesen Fall zu vermeiden, solltest du dir im Vorfeld vom Bundeszentralamt für Steuern eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer geben lassen. Das gestaltet sich der Praxis häufig schwierig. Damit das BZSt eine USt-ID vergeben kann, muss zuerst vom Finanzamt die Unternehmereigenschaft bestätigt werden. Das wird häufig mit dem USt-Signal verwechselt. Wenn dir die USt-ID vorliegt, reichst du diese bei eBay ein und bittest im Anschluss darum, deine Rechnung zu korrigieren und dir die deutsche Umsatzsteuer zu erstatten.
Wie du dem Finanzamt Reverse-Charge-Leistungen mitteilst
Du führst die Reverse-Charge-Umsatzsteuer im Rahmen deiner regelmäßigen Umsatzsteuer-Voranmeldungen oder spätestens in der Umsatzsteuer-Jahreserklärung an das Finanzamt ab. In der Regel sind für dich die Kennziffer: KZ 46/47 (Dienstleister aus dem EU-Ausland) und Kennziffer: KZ 52/53 (Dienstleister aus dem Nicht-EU-Ausland) relevant. Wenn du mit deinem Unternehmen berechtigt bist, Vorsteuern geltend zu machen, kannst du in Zeile 58/
Kennziffer: KZ 67 der Umsatzsteuer-Voranmeldung die Vorsteuer auf diese Dienstleistungen abziehen. Solltest du als Kleinunternehmer agieren, erklärst du zwar die Umsatzsteuer, hast aber keinen Anspruch auf einen Vorsteuerabzug.
Darüber hinaus solltest du wissen, dass das Reverse-Charge-Verfahren auch für dich privat gelten kann. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn du die Dienstleistung eines ausländischen Unternehmers für deinen privaten Bereich nutzt. Stell dir vor, du möchtest dein Zuhause neu gestalten und beauftragst einen schwedischen Designer damit. Schon musst du deinen umsatzsteuerlichen Pflichten nachkommen.
Konsequenzen bei Missachtung
Es ist nicht einfach, beim Reverse-Charge-Verfahren den Überblick zu behalten. Wenn dir eine Betriebsprüfung oder eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ins Haus steht, kannst du davon ausgehen, dass auf diesen Aspekt besonderes Augenmerk gelegt wird. Doch was passiert, wenn dabei festgestellt wird, dass du vergessen hast, für Dienstleistungen ausländischer Unternehmer Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen? Diese wird nicht nur nachträglich erhoben, sondern zudem für jeden zu spät angemeldeten Monat mit 6 Prozent pro Jahr verzinst. Allerdings beginnt der Zinslauf 15 Monate verzögert und ist auf die Jahressteuerschuld anzuwenden.
Was passiert, wenn dir der Dienstleister eine Rechnung mit ausgewiesener deutscher Umsatzsteuer ausgestellt hat? Dann wurde sie ja bereits einmal abgeführt. Leider nützt dir das trotzdem nichts, weil der gesetzliche Schuldner der Umsatzsteuer IMMER der Leistungsempfänger ist. Und dieser bist nun mal du. Zwar kannst du versuchen, von deinem Dienstleister die gezahlte Umsatzsteuer zurück zu bekommen, die anfallenden Zinsen musst aber dennoch du begleichen.
Hinweis:
Alternativ kommen Formulierungen in Betracht, die in anderen Amtssprachen für den Begriff »Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers« in Artikel 226 Nr. 11a MwStSystRL der jeweiligen Sprachfassung verwendet werden (z. B. »Reverse charge«). Zur Rechnungslegung bei in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmer vgl. Abschnitt 14.1 Abs. 6 UStAE (s. Abschn. 14a.1 Abs. 6 UStAE).