

Vielleicht hast auch du schon mal von der Gefahr der Scheinselbstständigkeit gehört. In diesem Fall wird dir der Status eines Selbständigen aberkannt und auf den Auftraggeber kommen Beträge bis hin zum fünfstelligen Bereich zu, da dieser die Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend bezahlen muss. Warum ist das so? Die Art der Beschäftigung des Auftragnehmers ähnelt in den wesentlichsten Punkten eher der einer abhängigen Beschäftigung (Angestellter), anstatt einer unternehmerischen, selbstständigen oder freiberuflichen Tätigkeit.
Wie schwierig manche Konstellationen sind, zeigt sich beim sogenannten Multi Level Marketing. Die Vertreter sind zwar mit vielen Endkunden in Kontakt, aber der Auftraggeber ist meistens nur eine Vertriebsgesellschaft. Es gibt also nur einen Auftraggeber. Diese Tatsache alleine reicht nicht für die Scheinselbstständigkeit aus, aber für die Rentenversicherungspflicht. Genau hier beginnen die meisten Irrtümer. Selbst professionelle Blogs im Internet verwechseln diesen Umstand manchmal.
Wenn du deine Einnahmen zu mehr als 5/6 von einem Auftraggeber beziehst und keinen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hast, bist du zwar rentenversicherungspflichtig, kannst aber formal noch selbstständig sein. Du musst allerdings auf das zu versteuernde Einkommen Rentenversicherungsbeiträge entrichten. Hier liegt der aktuelle Satz bei 18,3 Prozent (Stand 2017). Du kannst dich als Gründer für die ersten drei Jahre davon befreien lassen. Hier geht es zum Formular. Der Antrag sollte unbedingt vor Aufnahme der Selbstständigkeit gestellt werden.
Kommen wir zurück zur Scheinselbstständigkeit, die wir klar von der Rentenversicherungspflicht abgrenzen können. Wenn Sozialversicherungsbeiträge vorsätzlich hinterzogen wurden, haftet der Auftraggeber bis zu 30 Jahre zurück, ausgenommen der letzten drei Monate. Der Auftragnehmer, also der potentiell Scheinselbstständige, haftet nur für die letzen drei Monate. Letztendlich handelt es sich um die Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen, ein Umstand, der in Deutschland zur Schwarzarbeit zählt.
Was Scheinselbstständigkeit bedeutet
Doch wie werden eigentlich Unternehmer oder Selbstständige von Arbeitnehmern unterschieden? Wie vorhin bereits erwähnt, spielt das „nur für einen Auftraggeber tätig zu sein“ bei der Scheinselbstständigkeit eine untergeordnete Rolle. Ansonsten wäre auch ein Zulieferer von einem Automobilkonzern, der nur an eine Firma liefert, scheinselbstständig. Da er höchstwahrscheinlich viele sozialversicherungspflichtige Angestellte hat, ist er nicht einmal rentenversicherungspflichtig.
Was sind die wichtigsten Kriterien, die für eine Scheinselbstständigkeit sprechen? Es sind diejenigen, die ein abhängige Beschäftigung charakterisieren:
- Weisungsgebundenheit
- Keine freie Ort- und Zeitwahl
Es spielt eine untergeordnete Rolle, ob du die Arbeiten in dem Betrieb des Auftraggebers erledigst oder nicht. Es geht sogar noch weiter. Du kannst auch dann scheinselbstständig sein, wenn du mehrere Auftraggeber hast, da jedes Auftragsverhältnis dabei separat geprüft wird. Kommt nur eines davon einer abhängigen Beschäftigung sehr nahe oder gleich, bist du mit dieser Vertragsbeziehung scheinselbstständig und musst Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. In dieser einen Tätigkeit bist du dann im Grunde angestellt. Dieser Tatbestand muss dir nachgewiesen werden, nicht anders herum.
Was hat eigentlich der Auftraggeber davon, wenn du selbstständig bist?
Wenn ein Auftraggeber die Tätigkeiten an einen Unternehmer auslagert, muss er keine Sozialabgaben und andere Lohnnebenkosten zahlen. Zudem entfällt das Schutzsystem, das für Angestellte gilt, zum Beispiel der Kündigungsschutz. Für Arbeitgeber kann das durchaus attraktiv sein, da sich nicht die Tätigkeit an sich ändert, die du ausübst, sondern nur die die Vertragsbeziehung. Deswegen speilt auch die Höhe der Vergütung eine wichtige Rolle. Ein wegweisendes Urteil vom Bundessozialgericht war folgendes:(Az. B 12 R 7/15 R) Darin wurde die Höhe der Vergütung auf etwa 40 Euro definiert, allerdings nur als zu berücksichtigender Indikator.
Wer prüft, ob du scheinselbstständig bist?
Sowohl die Deutsche Rentenversicherung Bund, das Finanzamt, das Arbeitsgericht oder auch die Sozialversicherungen können prüfen, ob du scheinselbstständig bist. Möchtest du als Auftragnehmer zum Beispiel Kündigungsschutz einklagen, kannst du die Prüfung der Scheinselbstständigkeit verlangen. Wer Erfolg hat mit einer Klage und den Status des Arbeitnehmers erlangt, kann vom Auftraggeber einen Ausgleich für die gezahlten Krankenversicherungsbeiträge verlangen.
Wenn dein Auftraggeber euer Vertragsverhältnis beurteilen möchte, kann auch er eine Prüfung veranlassen. Die Prüfung auf eigene Veranlassung wird von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund durchgeführt. Dies geht allerdings nur, wenn noch kein externes Verfahren eingeleitet wurde. Meistens wird die Prüfung jedoch von einer dritten Instanz initiiert, weil beispielsweise Beiträge nachgefordert werden möchten. Wenn du den steuerlichen Erfassungsbogen zur Gründung ausgefüllt hast, schickt das Finanzamt oftmals einen Aufnahmebogen. Allerdings gilt die Sozialversicherungspflicht erst, wenn die Behörden unanfechtbar festgestellt haben, dass du scheinselbstständig bist. Auch Lohnsteuernachzahlungen können von deinem Auftraggeber rückwirkend bis zu vier Jahren eingefordert werden.
Zum Glück kannst du einiges tun, um nicht in die missliche Lage der Scheinselbstständigkeit zugeraten. Nachfolgend erhältst du wertvolle Tipps.
Informiere dich bestmöglich
Je mehr du über das Thema Scheinselbstständigkeit Bescheid weißt, desto besser bist du geschützt. Das Internet ist nicht immer die vertrauenswürdigste Quelle. Gerade bei dem Thema Scheinselbstständigkeit existieren verschiedenen Auffassungen. Denn leider gilt auch hier, dass Unwissenheit dich nicht vor Bestrafung schützt. Es ist deine Pflicht als Selbstständiger, dich über sämtliche Sachverhalte zu informieren. Frage notfalls einen Anwalt, wenn du dir unsicher bist, oder suche spezielle Beratungsstellen auf. Bei einem Anwalt reicht leider keine telefonische Aussage. Da es hier um einen existenziellen Umstand geht, solltest du dir das Votum schriftlich geben lassen. Anwälte haben eine Vermögensschadenhaftpflicht, die dich bei einer Falschberatung entschädigt. Du kannst auch bei der Clearing Stelle der Rentenversicherung kostenlos anrufen unter 030 5 444 56 02.
Prüfe deinen Dienstvertrag oder Werkvertrag
Du weißt jetzt, worauf du achten musst, um nicht als scheinselbstständig eingestuft zu werden. Nun solltest du deinen Dienstvertrag und auch deinen Arbeitsalltag damit abgleichen. Trägst du wirklich noch ein unternehmerisches Risiko und kannst freie unternehmerische Entscheidungen treffen? Ideal ist es, wenn dein Vertrag einen Hinweis enthält, dass keine Weisungspflicht besteht.
Was dein Dienstvertrag beinhalten sollte:
Dein exaktes Honorar: Wie im Urteil angemerkt, kann ein niedriges Gehalt ein Indiz für die Scheinselbstständigkeit sein.
Tätigkeitsbeschreibung: Ist es dir überlassen, wie du den Auftrag erledigst, oder musst du Weisungen entgegennehmen?
Die Option, dass du Aufträge ablehnen darfst und dafür andere Aufträge annehmen kannst.
Dass du für die Abführung deiner Steuern und Sozialversicherungen selbst verantwortlich bist.
Dass du auch eigene Mitarbeiter und weitere Subunternehmer einsetzen darfst.
Je mehr verschiedene Programme du benutzt, desto besser. So kannst du beispielsweise eine Software für die reine Auftragsvergabe, eine für die Zeiterfassung und eine andere für das Schreiben der Rechnungen verwenden. Dadurch vergrößerst du deine sogenannte Entscheidungsfreiheit, die dich vor einer potentiellen Scheinselbstständigkeit schützen kann. Ideal ist es auch, wenn du – gegebenenfalls zusätzlich – einen eigenen Arbeitsplatz oder Büro hast. Der letzte genannte Punkt ist allerdings nur ein weicher Faktor, der in der Gesamtschau berücksichtigt wird.
Melde dich bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
Am besten stellst du innerhalb der ersten drei Monate, wenn du eine neue Tätigkeit angefangen hast, bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einen Antrag auf eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht (falls zutreffend) für die ersten 3 Jahre der Selbstständigkeit. Wenn es zu einem Streitfall kommen sollte, können dort sowohl du als auch dein Auftraggeber eine Klärung der Statusabfrage beantragen. Hier ist aber wieder Vorsicht geboten. Rentenversicherungspflichtig ist nicht mit scheinselbstständig gleichzusetzen. Der Auftraggeber haftet hier auch nicht für die Rentenversicherungsbeiträge. Sollte festgestellt werden, dass du rentenversicherungspflichtig bist, musst du die Beiträge nachzahlen, da die Selbstständigkeit formal noch besteht. Bei den meisten Multi Level Marketing Konzepten kommt der oben benannte Umstand zum Tragen. Der Auftraggeber haftet nur bei Scheinselbstständigkeit, da du formal wie ein Angestellter gesehen wirst.
Kommuniziere mit deinem Auftraggeber
Da sowohl du als auch dein Auftraggeber zur Verantwortung gezogen werdet, wenn dir eine Scheinselbstständigkeit nachgewiesen wird, lohnt es sich, wenn du ihn auf Missverständnisse und Probleme hinweist. Je klarer du kommunizierst, wenn es um Aufträge und deine Urlaubsplanung geht, desto besser. Auch durch eigene Arbeitskleidung und Arbeitsutensilien mit deinem Corporate Design kannst du dich von den Festangestellten abgrenzen und dich somit vor dem Status Scheinselbstständigkeit schützen.
Fazit
Ein Arbeitnehmerverhältnis hat viele Vorteile, beispielsweise der Urlaubsanspruch und die Lohnfortzahlung bei Krankheit. Wenn du trotzdem keine Lust darauf hast, in einem Angestellten- oder Arbeitnehmerähnlichem Verhältnis zu sein, wird darauf keine Rücksicht genommen. Du als Auftragnehmer kannst also über deinen eigenen Status nicht rückwirkend selbst entscheiden. Auftragnehmer und Auftraggeber sind von dem Votum der Behörden abhängig. Deswegen ist es wichtig, vorzubeugen und von Anfang an Klarheit zu schaffen.
Ich wünsche dir viel Erfolg.
Erik
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Erik,
ein wirklich sehr ausführlicher und interessanter Beitrag. Oftmals wissen die meisten leider zu wenig über die Scheinselbstständigkeit, aber mit diesem Beitrag sollte das nicht mehr passieren. Super, weiter so!
Viele Grüße aus Hannover
Michael